Ralf Keller
Die Entwicklung der Erdstallforschung in Mitteleuropa. Von den Anfängen bis 1975
Der Aufsatz zeichnet die Geschichte der Erdstallforschung in Bayern, Österreich und Tschechien nach. Dabei sind immer wieder bestimmte Ereignisse und Zeiträume zu beobachten, die Wissen und Forschende vernetzt und die Forschung angeschoben oder gebremst haben. So machten verschiedene Beiträge in archäologischen Fachzeitschriften in den 1880er Jahren der Wissenschaft die Existenz und Verbreitung solcher Anlagen in den drei Ländern bekannt. Nachdem sich jedoch spätestens 1917 die mittelalterliche Datierung der Erdställe im Fach durchgesetzt hatte, befassten sich hauptamtliche Prähistoriker in Deutschland und Österreich kaum mehr mit dem Thema „Erdställe“. Die Erforschung und Dokumentation von Anlagen wurde meist von Laien und ehrenamtlichen Beauftragten geleistet. Das änderte sich erst langsam mit dem Aufkommen einer Archäologie des Mittelalters seit den 1960er Jahren. Mit der Gründung eines Arbeitskreises hat die Erdstallforschung 1973 neuen Aufschwung erhalten (siehe Der ERDSTALL 48/49, 2023, S. 193–209).
Hanna Schneck
Emil Wrbata – Der erste Erdstallfotograf in Österreich
Emil Wrbata erhielt 1896 als ausgebildeter Fotograf der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien den Auftrag, Pater Lambert Karner auf seinen Exkursionen in zahlreiche Erdställe in Österreich zu begleiten. Für den damals erst 20 Jahre alten Wrbata bedeutete es eine große Herausforderung, die engen Gänge und Kammern zu fotografieren, denn die Fotografien unter Tage mussten noch mit Magnesiumblitzlicht ausgeführt werden. Die Anwendung des Blitzlichtes in den schlecht belüfteten Räumen war kompliziert und durch die starke Rauchentwicklung nicht ungefährlich. Umso erstaunlicher ist die Qualität, die Wrbatas Aufnahmen auch heute noch aufweisen. Sie gelten als die ersten Erdstallfotografien, wurden damals in aufsehenerregenden Diavorträgen präsentiert und 1903 in Karners bekanntem Buch »Künstliche Höhlen aus alter Zeit« publiziert. Nicht nur in der Erdstallforschung leistete Wrbata Pionierarbeit: Seine Erfahrungen mit schwierigen Aufnahmesituationen waren für die Wiener Polizeidirektion von großem Nutzen. Ab 1902 leitete er das dortige Fotoatelier und setzte modernste Technologien zur fotografischen Tatort- und Ermittlungsdokumentation ein.
Martin Müller
Aktuelle Verfahren zur 3D-Vermessung von Erdställen
Um die Abmessungen und Formgebung von Erdställen präzise und detailreich zu ermitteln, stehen seit einigen Jahren mehrere Methoden zur Verfügung, darunter Photogrammetrie, Laserscanning und LiDAR. Im Artikel werden ihre verschiedenen Eigenschaften, Stärken und Schwächen erläutert und eine Reihe von Erdstallvermessungen vorgestellt, die mit ihrer Hilfe durchgeführt wurden.
Otto Cichocki, Bernhard Groiss, Mario Wallner, Michael Weissl
Eine weniger kostenintensive Methode zur hochwertigen 3D-Dokumentation von Erdställen
In den räumlich beengten Erdställen ist oft die Aufstellung eines Scanners zur direkten Erzeugung der Punktwolke nicht möglich. Aus der Photogrammetrie/Image-based Modeling (Structure-from-Motion) entwickelte sich in den letzten Jahren jedoch eine kostengünstige Möglichkeit, genaue 3D-Visualisierungen von Erdställen mit Hilfe von Fotos zu erzeugen. Aus einer großen Anzahl einander überlappender Fotos wird eine Punktwolke errechnet und mit den Farbwerten der Pixel der Fotos tapeziert. Diese Berechnung kann z.B. mit Agisoft Metashape, AliceVision Meshroom oder anderen Photogrammetrie-Sofwarelösungen durchgeführt werden. Aus der Visualisierung, die durch eingemessene Passpunkte entzerrt wird und in der daher auch gemessen werden kann, können Grundriss, Seigerriss und Gangquerschnitte an beliebigen Stellen leicht ermittelt und dargestellt werden.
Kurt Niel, Raimund Edlinger
3D-Vermessung des Erdstalls Unterstetten/Tollet
Der Erdstall in Unterstetten/Oberösterreich wurde im November 2023 mittels eines mobilen Scanners einer 3D-Vermessung unterzogen. Dieser bestehet aus einem Tablet mit Tiefen- und Farbkamera und einer am selben Handgriff befestigten Beleuchtung. Über die Messung konnten einige Details des Erdstalls erkannt und untersucht werden.
Der etwa 800 Jahre alte Erdstall vom Typ B weist eine Vielzahl von Eigenschaften auf, die selten in dieser Vollständigkeit an einem Objekt auftreten: Sieben Kammern verbunden durch einen horizontalen Schlupf und fünf vertikale Schlupfe; die Kammern sind rund um einen verschütteten ellipsenförmigen Bauhilfsschacht angeordnet; Lampennischen und Sitzbänke sind zu finden sowie Hinweise zu einer Verteidigungstür mit -scharte und einem Verschlussstein; die gesamte Baulänge ist 37 m, der Niveauunterschied 6 m; eine Kammer weist manuell entstandene Wandfurchen auf.
Das Tablet Lenovo Phab2 pro vereint Farbkamera, Tiefensensor und Gyroskop. Die Auswertung basiert auf dem Google-Projekt Tango mit RTAB (Real-Time Appearance-Based Mapping App) Algorithmus. Es wurde bereits mit einer Vergleichsmessung mit dem 360°-Scanner Leica BLK360 begonnen. Erkenntnisse aus der Handhabung und dem Vergleich fließen in die Entwicklung von MOBES (Mobiler Erdstall Scanner) ein.
Der Verein „OÖ Erdstallzentrum Tollet Unterstetten“ möchte den Unterstettner Erdstall und andere der Öffentlichkeit präsentieren, ohne diese begehen zu müssen. Eine multimediale Aufmachung vor Ort und virtuelle Rundgänge über die Vereins-Homepage https://OOE-Erdstallzentrum.at sind das Ziel.
Hartwig Büttner
Frühe Beleuchtungstechnik im untertägigen Bergbau
Künstliche Lichtquellen sind von jeher für die Arbeit in der ewigen Nacht unter Tage unabdingbar und lebensnotwendig. Erst die Beherrschung des Feuers als Licht- und Wärmequelle und zur Zubereitung von Nahrung sowie später die Erfindung der Technik der Feuererzeugung haben die Erschließung untertägiger Rohstoffquellen möglich gemacht und letztlich wesentlich zur Entwicklung und geographischen Ausbreitung menschlicher Kulturen beigetragen. Frühe Beleuchtungsformen umfassen harzreiche (verkiente) Holzspäne, einfache geschlossene oder offene Lampen, auf denen je nach Verfügbarkeit vegetabile Öle oder ausgeschmolzenes Eingeweidefett von Wiederkäuern (Unschlitt) mit einfachen Dochtmaterialien gebrannt wurden und Talgkerzen. Im Bergbau haben sich diese primitiven Beleuchtungsformen zum Teil bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts erhalten. Es kann angenommen werden, dass die zeittypischen bergmännisch genutzten Beleuchtungsmittel auch in vergleichbaren untertägigen Anlagen wie Erdställen Verwendung fanden, auch wenn bisher eindeutige archäologische Funde aus diesem Bereich fehlen.
Josef Weichenberger
Der Erdstall in Reinolz 4, Dobersberg, Niederösterreich
Im Februar 2024 entdeckte ein Landwirt in Reinolz 4, Gemeinde Dobersberg (Niederösterreich), bei Renovierungsarbeiten seines Hofes diesen Erdstall. Die Anlage stand allerdings unter Wasser, nach stundenlangem Pumpen war dann eine Befahrung mit einer Fischerhose möglich. Es zeigte sich ein Erdstall, von dem noch 16 m erhalten sind. Das anstehende Bodenmaterial ist Gneis. Drei Gangfortsetzungen sind nicht mehr zugänglich.
Die Anlage weist mit ihren engen, winkeligen Gängen, einem Schlupf, einem Kriechgang, 15 Lampennischen und einer Luftröhre typische Erdstall-Bauelemente auf.
Es scheint so zu sein, dass nach Regentagen und bei der Schneeschmelze ein Problem mit dem eindringenden Wasser besteht, das den Erdstall flutet.
Der Besitzer ist bemüht, den Erdstall zu erhalten.
Oliver Fries, Lisa-Maria Gerstenbauer, Alarich Langendorf, Andreas Steininger
Neue Forschungen zum Erdstall und der Wehrkirche von Kleinzwettl (Niederösterreich)
Im Winter 2022/2023 wurde im Rahmen eines vom Verein Zukunftsraum Thayaland in Auftrag gegebenen und von der EU geförderten Projekts vom Autorenteam das Konzept für einen Schauraum zum Thema Erdstall in der Marktgemeinde Thaya mit fünf Infotafeln und einem im Betondruckverfahren hergestellten begehbaren Erdstallmodell in Originalgröße sowie fünf weitere Infotafeln zur Wehrkirche in Kleinzwettl (Marktgemeinde Gastern) und dem darunter liegenden Erdstall erstellt. Die in diesem Zusammenhang gewonnen Erkenntnisse sind Gegenstand dieses Artikels.
Der Einstieg zum Erdstall von Kleinzwettl befindet sich im Chor der Kirche. Der Erdstall ist 56 m lang und endet in einem teilweise verstürzten Rundgang. Nach ca. 7 Metern verwinkeltem Gangverlauf gelangt man in eine ca. 4 x 1 m messende, vollständig ausgemauerte und mit einem Bruchstein-Tonnengewölbe versehene Kammer.
Aus bauhistorischer Sicht ist insbesondere die Erkenntnis relevant, dass in der Zeit der Spätgotik, vermutlich im Zuge der Errichtung des heutigen, zwei Schiffe bildenden Gewölbes im Langhaus in den 1460er-Jahren, nicht nur auf den Erdstall Rücksicht genommen, sondern auch ein gewisser Aufwand betrieben wurde, damit der Erdstall weiterhin begehbar bleibt. So stammt etwa die gewölbte Kammer unter dem nördlichen Langhausschiff sowie der heutige Zugang zum Erdstall der spezifischen Mauerwerkstechnik (sog. Zwickelmauerwerk) zufolge aus dieser Zeit. Darüber hinaus befindet sich ein Pfeiler des in den 1460er-Jahren errichtete Langhausgewölbes teilweise über dem Erdstall. Um diesen für die Fundamentierung des Pfeilers nicht zuschütten und aufgeben zu müssen, wurde eine Steinplatte als Überlager eingefügt.
Die erwähnten Instandsetzung- bzw. Erhaltungsmaßnahmen fallen damit in eine Zeit, in der Erdställe andernorts nicht mehr benutzt und teilweise verfüllt wurden.
Peter Wischenbarth
Erdställe sowie unterirdische Gänge im Landkreis Neu-Ulm (Bayern) und Umgebung
Zwischen den Voralpenflüssen Iller und Günz im südwestlichen Bayern sind bis heute zehn Erdställe bekannt. Vier hiervon wurden im 19. Jahrhundert und früher entdeckt und sechs Stück hat man im 20. und 21. Jahrhundert gefunden. Ein Erdstall zeigt sehr wahrscheinlich einen Bezug zur Kirche, wogegen vier Zugänge in Hauskellern zu finden sind. Schließlich gibt es fünf weitere Erdställe, welche im freien Gelände liegen. Die Geologie des Untersuchungsgebietes weist einheitlich einen gelben Feinsand aus dem Miozän auf, der sich hervorragend zu unterirdischen Gängen aushöhlen lässt. Die Erdställe sind archäologisch fundleer, bis auf einen Gang in Deisenhausen. Dort soll angeblich ein „Topf“ gefunden worden sein, der heute aber als verschollen gelten muss.
Besonders attraktiv ist ein Erdstall im Archäologischen Park Kellmünz mit dem spätrömischen Kastell. Das Gangsystem machte sich 2013 durch Erdeinbruch bemerkbar. Die Gänge weisen gotische Spitzprofile auf und ein Nebenraum ist über einen Schlupf zugänglich. Für die spätere Forschung steht der Erdstall zur Verfügung. Er wurde deshalb mit einem verschließbaren Zugang ausgestattet.
Neben den genannten Erdställen gibt es in dem Bearbeitungsgebiet auch zahlreiche mit Ziegeln und Steinquadern ausgebaute unterirdische Gänge. Sie dienten wohl unter anderem zur Wasserableitung. Inwieweit hier auch echte Fluchtgänge vorliegen, kann nicht beurteilt werden.
Martin Müller
Ein Erdstall in Thaya und sein Modell in Originalgröße
Ein Erdstall in Thaya (Niederösterreich) ist sowohl mit geodätischen Methoden als auch mit einem Laserscanner vermessen worden. Mittels 3D-Betondruck wurde ein Modell im 1:1‑Maßstab hergestellt, das seit 2023 im Erdstallzentrum Thaya ausgestellt ist und dort besichtigt und durchkrochen werden kann.
Das innovative Produktionsverfahren dieses ersten derartigen Erdstallmodells wird vorgestellt – auch in der Hoffnung, dass künftig von weiteren Erdställen entsprechende Modelle realisiert werden. Mit ihnen könnten sich Besucher über die Erdstall-Thematik informieren und eigene Befahrungen simulieren, während die realen Erdställe geschont werden.
Franz Lindenmayr
Die Tunnel von Cu Chi in Vietnam
In der Umgebung von Ho-Chi-Minh-Stadt im Süden Vietnams zwischen dem Mekong und der kambodschanischen Grenze wurde seit dem Unabhängigkeitskrieg von Frankreich und vor allem während des sog. Vietnamkriegs ein riesiges unterirdisches Tunnelsystem von 300 km gebaut.
Heute ist es ein beliebtes Touristenziel geworden, das von vielen besucht wird.
Karl Schwarzfischer hat sich schon 1988 Gedanken darüber gemacht, was die Erdställe und die Cu-Chi-Tunnel gemeinsam haben und was sie voneinander unterscheidet. 2022 hatte ich Gelegenheit, anlässlich einer Vietnamreise, sie selbst einmal zu sehen und war äußerst beeindruckt davon. Sie sind reine Kriegsanlagen, in denen sich niemand freiwillig lange aufhalten möchte. Falls die Erdställe jemals einem „Zweck“ gedient haben sollten, ist dieser nun für mich noch „schleierhafter“.
Otto Cicocki
Sir Karl Popper und die Erdställe
Der Philosoph Karl Popper hat 1972 in einem Rundfunkvortrag mit dem Titel „Wissenschaftslehre in entwicklungstheoretischer und in logischer Sicht“ das dreistufige Schema „1. Problem – 2. Lösungsversuche – 3. Elimination“ in die Wissenschaftstheorie eingeführt. Vor allem der Umstand, dass Forschende die eigenen Lösungsversuche im dritten Schritt auch selbst falsifizieren und eliminieren können, ermöglicht die Aufrechterhaltung ihrer Selbstachtung und den beachtlichen Fortschritt der modernen Wissenschaft. Es soll untersucht werden, in wieweit die wissenschaftliche Erdstallforschung diesem Schema und seinen Implikationen folgt und in welchen Aspekten sie davon profitieren kann.