DER ERDSTALL 48/49 (2023) – Zusammenfassungen


Otto Cichocki, Michael Weissl, Mario Wallner

Erdstallgrabung Eggenburg (Niederösterreich)

In dem 2022 entdeckten Gang unter einem Haus nahe der Stadtmauer in Eggenburg, der zu drei Vierteln verfüllt war, wurde eine große Zahl ganzer oder ursprünglich kompletter Keramik (großteils Töpfe, aber auch Krüge und Ofenkacheln des 15. Jahrhunderts) in lehmig-humosem Sediment aufgefunden, das von einer Schicht aus abgestürztem Material der Firste nach oben abgeschlossen war. Der Gang ist Richtung Stadtmauer nach ca. 3 m mit großen Steinen verlegt, in die andere Richtung verlaufen zwei enge blind endende Gangfortsetzungen mit Lichtnischen. Ob es sich um einen Erdstall oder einen Fluchtgang oder Minierstollen handelt (die befestigte Stadt Eggenburg wurde oftmals belagert), ist noch nicht geklärt.


Erhard Fritsch, Josef Weichenberger

Erdstall Köppach, Gemeinde Atzbach, Bezirk Vöcklabruck, Oberösterreich

Hintergrund der Dokumentation des Erdstalls war die Suche der Gemeinde Atzbach nach Grundstücken, die als Bauland gewidmet werden können. Die Entscheidung fiel auf eine größere Wiese in der Ortschaft Köppach. Das Bundesdenkmalamt wies aber darauf hin, dass auf dieser Parzelle bereits 1932 ein Erdstall gefunden worden war, es sich also um eine archäologische Verdachtsfläche handelt. So legte ein Bagger Suchschnitte an, bis der einstige Einstieg gefunden werden konnte. Der Einstiegschacht und der anschließende Gang waren aber 1932 verfüllt worden, sodass zuerst erst eine aufwändige Freilegung notwendig war. Die Spezialisten des Landesvereins für Höhlenkunde in Oberösterreich führten diese Arbeiten durch und dokumen­tierten diese Anlage.
Da bereits 1932 ein Plan angefertigt worden war, konnten Vergleiche angestellt werden. Vom ursprünglich 44 m langen Erdstall waren nur mehr 32 m erhalten. Er wies einen waagerechten Schlupf, einen schrägen und drei senkrechte Schlupfe auf. In einer Kammer lagen zwei Sitzbänke gegenüber. Drei Gang-Fortsetzungen sind verstürzt. Als Besonderheiten sind zu erwähnen: Der 5 m tiefe schräge Einstiegschacht, die Kombination von horizontalen, schrägen und vertikalen Schlupfen, die sehr engen senkrechten Schlupfe, zwei nahe beisammen liegende Bauschächte und die Datierung von drei Holzkohle-Proben, die mittels C14 einheitlich in die Zeit um 1100 n. Chr. bestimmt wurden.


Rainer Cramm

Haushaltshilfen aus dem Untergrund: Erdställe und das Erzählmotiv „Ausgelohnt“

Erdställe werden in einem mythologischen Kontext mit Sagengestalten aus der Gruppe der Zwerge in Verbindung gebracht, die je nach Inhalt oder Schauplatz der Erzählung als „Unterirdische“ oder „Hauswichtel“ bezeichnet werden. Sagen, die im Umfeld bayerischer Erdställe angesiedelt sind, enthalten auffallend häufig ein bestimmtes Erzählmotiv, in dem hilfreiche Hausgeister ihren Dienst beenden, nachdem sie mit Kleidung beschenkt wurden. Angeblich betrachten sie sich dadurch als entlassen und ausgelohnt. Dieses Verhalten ist in seiner Entstehung und Bedeutung rätselhaft. Eine Deutung wird zusätzlich dadurch erschwert, dass einzelne Elemente des Ausgelohnt-Motivs in verschiedenen Sagen inkonsistent wiedergegeben werden. Mal sind es Schuhe, mal ein Hut, mal ein Anzug – und manchmal ist auch nur die Farbe ausschlaggebend. In anderen Sagen wiederum quittieren die Wichtel ihren Dienst aufgrund von falschen Speisen oder unangemessener Bezahlung. Der Artikel vergleicht verschiedene Varian­ten des Erzählmotivs und zeigt eine mögliche Ausformung des Ausgelohnt-Themas im Kontext volksmagischer Praktiken auf.


Martin Müller

Die Erforschung des Erdstalls am Petersberg in Kissing

Der Erdstall am Petersberg in Kissing (bei Augsburg) ist seit 1853 bekannt und seitdem mehrfach beschrieben und vermessen worden, zuletzt 2013. Die chronologische Darstellung der dabei gewonnenen Dokumentationen und Kartierungen zeigt zum einen die Entwicklung der jeweils benutzten Untersuchungsmethoden. Zum anderen weist sie eine Vielzahl von Veränderungen am Erdstall nach, die im Verlauf von 160 Jahren durch natürliche Prozesse oder menschliche Eingriffe stattgefunden haben.


Otto Cichocki

Die Darstellung der Erdställe im Laufe der Zeit

Die bildliche Darstellung der Erdställe sollte es einem breiten Publikum ermöglichen, einen Eindruck von diesen unterirdischen Gängen und Kammern zu bekommen. Schon 1888 versuchte der Landschaftsmaler Ignaz Spöttl, Erdställe als Ölbilder, Bleistift­zeichnungen oder Stiche darzustellen. Ihm folgte 1902/03 der Fotograph Emil Wrbata, dessen Untertagefotografien damals eine Sensation waren. Im Jahre 1980 unternahm Eveline Tilley Exkursionen in Lambert Karners Erdställe, um Fotografien für eine Kunstaktion mit dem Übermalkünstler Arnulf Rainer anzufertigen. Und 2023 sind manche Erdställe von damals immer noch der Kameralinse zugänglich. All diese Fotos erlauben nicht nur einen Vergleich der Darstellung dieser entrückten Orte, sondern geben auch Aufschluss über (natürliche oder auch künstliche) Zerstörung der Oberflächen und anderer Details.


Martin Müller, Markus Hilpert

Die Vermessung des Erdstalls am Petersberg in Kissing mittels 3D Laserscanning

Der Erdstall am Petersberg in Kissing (Landkreis Aichach-Friedberg) ist im Jahr 2013 von einer Arbeitsgruppe der Universität Augsburg mittels 3D-Laserscanner vermessen worden, als einer der ersten im deutschsprachigen Raum. Im vorliegenden Artikel werden die erzielten Ergebnisse erstmals ausführlich vorgestellt, vor allem anhand verschiedenartiger Visualisierungen, die den Aufbau des Erdstalls anschaulich und zugleich präzise darstellen. Die Verknüpfung mit Daten aus Geländevermessungen zeigt die Position des Erdstalls relativ zu seiner oberirdischen Umgebung. Vergleiche mit Kartierungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert demonstrieren Stär­ken und Schwächen der früher benutzten Verfahren zur Vermessung von Erdställen; darüber hinaus dokumentieren sie Veränderungen des Petersberger Erdstalls in jüngerer Zeit. 


Dieter Ahlborn

Das Alter der Erdställe im europäischen Vergleich

Das Alter der Erdställe in Europa war lange Zeit ungewiss. Eine Forschungsgeschichte von mehr als 150 Jahren brachte bis vor wenigen Jahren kaum Ergebnisse. Diese Ungewissheit führte zu zahlreichen Spekulationen über den Zeitpunkt der Entstehung der unterirdischen Anlagen. Es entstanden Datierungsvorschläge ohne Nachweise von der Neuzeit bis zur Vorgeschichte. Letzt­lich erfolgten dadurch viele Überlegungen zum Zweck der Erdställe über ein spekuliertes Alter. Eine Intensivierung der Forschungen zur Siedlungsgeschichte der Erdstallgebiete hat neben weiteren Datierungen von Erdstallanlagen in den letzten Jahren zu einer Eingrenzung der Entstehungszeiten geführt. Die Zusammenarbeit von Forschergruppen insbesondere aus Frank­reich, Österreich, Irland und Deutschland hat sich positiv auf eine europaweite Forschung ausgewirkt. Eine Erdstall-Epoche im Zeitraum vom 11. bis 13. Jahrhundert n. Chr. kann heute in vielen Teilen Europas mit gutem Gewissen nachgewiesen werden.


Werner Breuherr

Erdstallvermessung mit iPhone

iPhones der Pro Serie von Apple haben seit den letzten 3 Generationen einen eingebauten Lidar Sensor, der ihnen die dreidimensionale Erfassung ihrer Umgebung ermöglicht. Er wird nicht beworben und eigentlich nur für die Unterstützung der Kamera genutzt. Mit entsprechender, zum Teil frei verfügbarer Software lassen sich damit aber auch Zimmer, Häuser oder Erdställe erfassen.
Erste Versuche in einem normalen Wohnraum offenbaren zahlreiche Schwächen. Das resultierende 3D Objekt lässt sich zwar im iPhone frei drehen und betrachten, aber die Möbel sind verzerrt, die Wände löchrig und umfangreichere Grundrisse verbogen. Kein Wunder, dass Apple dieses Feature nicht bewirbt. Es gibt einige Probleme und Grenzen mit Auflösung, ungeeigneten Oberflächen sowie Software. Doch speziell für Erdställe ist das Verfahren ideal. Es erstellt Grundrisse nicht gekannter Qualität mit denkbar geringem Aufwand. Neuartige 3D Fotos aus beliebigen Blickwinkeln machen einen Erdstall auch für Außenstehende vorstellbar.


Anja Heidenreich, Alejandro Jiménez

Unterirdische Anlagen in der Siedlungswüstung von Cuatrovitas (Prov. Sevilla, Spanien)

Trotz aller Unterschiedlichkeiten der beiden großen Kulturräume − des christlich-abendländischen Mitteleuropa und der islamisch überprägten Iberischen Halbinsel − hinsichtlich Gesellschaft, Religion und bäuerlichem Alltag fügen sich die Gänge aus Cuatrovitas in die Typologie der in Zentraleuropa schwerpunktmäßig in das Hohe Mittelalter gesetzten Erdställe ohne jegliche Abweichung ein. Auch wenn der Forschungsstand in Spanien derzeit eher sporadisch ist und die fragilen Bauwerke aus Unkenntnis nicht immer als wertvolles Boden­denkmal erkannt, eingestuft und untersucht worden sind, ließ sich dennoch ein historisch-kultureller Kontext herstellen. Besonders die besser untersuchten Anlagen im nahen Gines und im weiter entfernten Elche sowie in Katalonien bieten durch die dort nachgewiesenen Schlupfe einen klaren Beleg für die Zufluchtsfunktion der Stollen zur Zeit der Almohaden in al-Andalus bzw. in dessen nördlicher Randzone. Als Strukturen für kurzzeitiges Verstecken bei Überfällen scheinen sie auch in Cuatrovitas funktional bestens geeignet. Auch in der oralen Überlieferung ist die Versteckfunktion noch eindeutig präsent: Sei es in der Sage von den unterirdisch lebenden „Vier Mauren“ und ihren verborgenen Reichtümern oder in der mündlichen Überlieferung zur ebenfalls unter Tage sicher verborgenen Statue der Hl. Jungfrau von Cuatrovitas. Sogar die konkrete Kombination „Brunnenschacht plus horizontaler Erdstall“, wie es die Auffindungs­legende beschreibt, hat reale Entsprechungen in Beispielen aus Mitteleuropa. Insgesamt bleibt festzustellen, dass eine sorgfältige archäologische Untersuchung der Gänge von Cuatrovitas erforderlich ist und mit großer Wahrscheinlichkeit die These von Versteckgängen bestätigen wird. Die Datierung und Funktion der Zufluchten würden sich dann bestens mit dem großen politischen Umbruch in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Bezug setzen lassen, als die Bewohner oft schnell auf feindliche Angriffe reagieren mussten.


Martin Müller

Die Eignung von Erdställen als Zufluchtsorte in mittelalterlichen Bedrohungsszenarien

Den Bewohnern eines mittelalterlichen Bauernhofs drohte bei verschiedenen Szenarien bewaff­neter Angriffe (Raubüberfalle, Kriegszüge, Fehdezüge) neben materiellen Verlusten meist auch Gefahr für Leib und Leben. Kam eine Flucht nicht infrage und stand ein Erdstall zur Verfügung, haben sich wahrscheinlich in erster Linie Frauen, Kinder und Gehbehinderte dorthin geflüchtet. Ein Vergleich mit empirischen Daten der Gegenwart legt nahe, dass dabei für eine Schwangere das Risiko, einen Schlupf nicht passieren zu können, sehr gering war. War ein Rückzug in einen Erdstall gut vorbereitet und durch Abdichtungsvorrichtungen die Gefahr einer Ausräucherung eliminiert, war selbst eine mehrtägige Zuflucht dort auch ohne Tarnung des Eingangs und ohne einen separaten Ausgang wahrscheinlich relativ sicher.
In zwei Gedichten des niederösterreichischen mittelalterlichen Dichters Seifried Helbling wird ein slauflueg als bäuerliche Einrichtung im Fall bewaffneter Angriffe genannt, was die Eignung einer solchen „Kriechhöhle“ als Zufluchtsort auch für reale historische Situationen untermauert.


Werner Breuherr

Ringspeicher
Zur Funktionsweise der Rundgang-Erdställe als Getreidelager

Das „Rätsel der Erdställe“ blieb nach meiner Meinung bisher ungelöst, weil man an der Unterteilung in verschiedene Regionaltypen im Sinne Wimmers und der Ausarbeitung von deren Kernelementen nicht konsequent weitergearbeitet hat. Entsprechend sind diese auch nicht im allgemeinen Bewusstsein verankert und man wartet immer noch auf die eine, große Lösung, welche alle Erdställe gleichermaßen erklärt. Die vorliegende Arbeit ist ein Ansatz, sich schrittweise durch Aufteilung in einzelne Typen und Elemente einer Teillösung zu nähern.
Ich gehe von der Ausgrabung der Wüstung Pfaffenschlag durch Vladimir Nekuda aus. Sie deckte zwei Rundgang-Erdställe auf, die man hier im Kontext des Dorfes sieht. Zusätzlich fand er noch Reste einer älteren Siedlung unter den Häusern. Ein Vergleich der Situation der beiden Erdstall-Häuser mit den Vorgängern zeigt, dass die Erdställe vermutlich Nachfolger der Getreidegruben waren. Der Ringspeicher konserviert Getreide in der Art seiner Vorgänger mit Kohlendioxid und bringt neue Vorteile durch Lagerzeitverkürzung sowie Erleichterung bei der Entnahme. Für Verschlüsse, Dampflöcher und „Kuchl“ ergeben sich neue Sichtweisen.


Marek P. Šenkyřík – Svámí Gyaneshwarpuri

Entdeckung eines Ossariums mit zwölf bemalten Schädeln im Untergrund der Wallfahrtskirche der Jungfrau Maria in Křtiny (Tschechische Republik)

Im bedeutenden mährischen Marien-Wallfahrtsort Křtiny wurden 1991 bei einer Grabung in einer Krypta unter einer 1771 geweihten Kirche unter anderen Gebeinen bemalte Schädel gefunden. Diese waren mit einem Lorbeerkranz (Symbol für einen geweihten Ort) und einem T (tau) auf der Stirn bezeichnet. Ihr Alter ist derzeit nicht exakt bestimmbar. Sie wurden wahrscheinlich zwischen 1728 und 1750 deponiert, könnten aber ältere Reliquien aus der Vor­gängerkirche sein.


Otto Cichocki

Miniaturgefäße – auch im Erdstall
Drei Miniaturtöpfchen im Erdstall Rasumofskygasse (Wien)

In dem von der Stadtarchäologie Wien ausgegrabenen Erdstall fanden sich in der Kammer nach dem Einstiegsschacht drei sedimentgefüllte Miniaturtöpfchen. Diese Keramikgattung wird teils als Kinderspielzeug, teils auch als Behältnis für Salben oder Ähnliches oder als Objekt mit kultischer Bedeutung interpretiert.


Heike Gems-Müller

Drei Tage in Österreich – drei Ausstellungseröffnungen zur Erdstallthematik

An drei aufeinanderfolgenden Tagen sind im April 2023 in Ober- und Niederösterreich Aus­stellungen zur Erdstallthematik eröffnet worden: In Linz startete am 19. April eine Kunstschau im Atelierhaus Salzamt, auf der eine junge Künstlergruppe ihre von Erdställen inspirierten Werke zeigte. Am folgenden Tag wurde in der Marktgemeinde Thaya (Bezirk Waidhofen an der Thaya) ein Erdstallzentrum feierlich eröffnet, das in einer Dauerausstellung neben Informationen über Erdstallanlagen die Möglichkeit bietet, ein originalgetreu nachgebildetes Erdstallmodell zu befahren. Am 21. April fand in Nußdorf ob der Traisen (Bezirk St. Pölten-Land) die Eröffnung einer Sonderausstellung im Urzeitmuseum statt, die dem Erdstallpionier Pater Lambert Karner und dem Erdstallfotografen Emil Wrbata gewidmet war.